Die MS und ich
Multiple Sklerose, oder kurz MS, ist eine „ich kenne auch
jemanden, der das hat“ – Krankheit. Die
Deutsche MS-Gesellschaft (DMSG) berichtet
von bundesweit ca. 130.000 Betroffenen, die an der entzündlichen
Erkrankung des Zentralen Nervensystems, also Gehirn und Rückenmark, leiden. Hierbei wird aus bisher nicht
geklärter Ursache vom Körper selbst („autoimmun“) die Schutz- oder
Isolierschicht der Nerven, das sogenannte Myelin, angegriffen, es kommt an den
entsprechenden Stellen zu Entzündungen, Impulse und Reize können nicht mehr
optimal weitergeleitet werden, was sich dann beispielsweise in
Missempfindungen, Lähmungen, Schmerzen, Sehstörungen oder Schwindel zeigen kann. Dies wird als „Schub“
bezeichnet. Ein Schub kann sich über Stunden oder Tage aufbauen und von selbst
oder durch hochdosiertes Cortison wieder abklingen. Nach dem Abklingen kommt es
entweder zu einer vollständigen Wiederherstellung der normalen Funktionen oder
das Gewebe vernarbt („sklerosiert“) und es bleiben dauerhafte Schäden zurück. Durch
verschiedene Medikamente können die Abstände der Schübe verlängert und die
Schwere ihrer Auswirkungen gemildert werden. Dennoch bleibt die MS eine
chronische, nicht heilbare Erkrankung mit sehr individuellen Verläufen, die von
nahezu keinerlei Einschränkungen bis hin zu kompletter Pflegebedürftigkeit
führen kann.
In den meisten Fällen wird die MS zwischen dem 20. und 40.
Lebensjahr diagnostiziert, selten früher, selten später. Ich selbst war 23 Jahre und 2 Tage, mitten in
der Ausbildung zur Ergotherapeutin und gerade mit allgemeiner und spezieller
Krankheitslehre beschäftigt, als ich plötzlich zunächst Schmerzen im Knie und
dann eine innerhalb von Stunden aufsteigende Taubheit in beiden Beinen spürte.
Da mein Kopf aufgrund der Ausbildung zu der Zeit voll war mit
Bandscheibenvorfällen und rheumatoider Arthritis, blühte die Phantasie an
möglichen Ursachen. Doch tief im Inneren spukte vor allem die Angst, dass es MS
sein könnte. Multiple Sklerose, eine Krankheit, die schleichend immer schlimmer
wird und mich früher oder später in den Rollstuhl zwingt, an der ich
möglicherweise früh sterbe, weil die Atemmuskulatur versagt. Dass dieses
Horrorszenario wenig mit der Realität zu tun hat, war mir nicht klar, als ich
im Krankenhaus lag, kaum noch laufen konnte, von MRT
(Magnetresonanzthomographie) zu Lumbalpunktion geschickt wurde und zu viel Zeit
für grausame Gedanken hatte. Als die Diagnose genau eine Woche nach meinem 23.
Geburtstag feststand, waren es Schock und Erleichterung gleichzeitig. Wie
sollte mein Leben weitergehen? Wozu noch eine therapeutische Ausbildung, wenn
ich selbst so schwer krank bin? Überhaupt, wie sollte ich zur Schule kommen,
wenn laufen und Autofahren quasi unmöglich sind? Wie sollte ich die drei
Stockwerke zu meiner Wohnung auf Dauer bewältigen? Meine Welt blieb stehen und
brach in sich zusammen. Andererseits lässt sich ein Feind, deren Namen man
kennt, doch bekämpfen und mit einer wunderbaren Familie und tollen Freunden an
der Seite muss es doch Wege und Möglichkeiten geben! Und die gab und gibt es!
Dank 5 Tagen Cortison-Infusionen klangen die Symptome langsam, aber stetig ab
und die Erfahrung, dass auch ein schwerer Schub nahezu komplett abheilen kann,
gab mir die Kraft, allmählich in den Alltag zurückzufinden und das Leben von
„vorher“ wieder aufzunehmen.
Dennoch war es ein sehr tief einschneidendes Erlebnis, die
körperlichen Grenzen derart zu spüren. Auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein.
Zu merken, wie wenig selbstverständlich es ist, gesund und auf zwei Beinen
durch die Welt zu spazieren. Wie schnell sich alles ändern und nichts mehr wie
vorher sein kann. Es war nunmal keine Erkältung, die mich für ein paar Tage in
die Knie gezwungen hatte … Das ließ mich ganz anders über mich und das Leben
nachdenken. Die Zeit ist zu kurz, zu kostbar, um sie mit Dingen zu füllen, die
man nicht wirklich liebt: Zielen nachzueifern, die nicht die eigenen sind, sich
in Rollen pressen zu lassen, die einem nicht entsprechen. Was pathetisch
klingen mag, ist so wahr und die Frage, wie ich mein Leben gestalten möchte,
bekam eine ganz andere Qualität. Ergotherapie … ja, das ist ein schöner Beruf
mit vielen Möglichkeiten und vor allem vielen kreativ-gestalterischen
Schwerpunkten. Aber möchte ich
wirklich Ergotherapeutin sein? Schlägt mein Herz nicht viel mehr für genau
diese kreativ-gestalterischen Techniken ohne
therapeutischen Background? Natürlich ist es gut, „was Anständiges“ zu lernen,
die Sicherheit einer abgeschlossenen Ausbildung und dann einer festen Stelle,
ein geregeltes Einkommen, klare Arbeitszeiten zu haben. Aber ist es nicht viel
wichtiger, auf sein Herz zu hören, auf all diese verlässlichen Punkte zu
verzichten? Den vermeintlich unsichereren, schwierigeren Weg zu gehen, dafür
aber zu 100% glücklich zu sein mit
dem, was man tut? Seinen ganz eigenen Weg zu gehen, egal, was andere darüber
denken?
Ich gebe zu, es musste viel Zeit vergehen, um diesen "meinen" Weg zu finden, auf dem auch nach wie vor viele große und kleine Stolpersteine liegen, zuletzt eine durch die MS verursachte Epilepsie. Die Ausbildung habe ich letztendlich zu Ende gebracht. Und auch wenn es damals ein großer Kampf war mit vielen Zweifeln und dann auch weiteren MS-Schüben, bin ich heute froh, einen Abschluss zu haben, auf den ich notfalls immer zurückgreifen kann. Aber viel froher noch bin ich, dass ich -wenn auch schmerzlich- gelernt habe, auf mein Herz zu hören, meine Zeit mit dem zu füllen, was ich wirklich möchte, nämlich mit nähen, stricken, sticken, ganz einfach mit dem Kreativsein. Der Verkauf von Selbstgemachtem macht mich (bisher) nicht auf dem Konto reich, dafür in der Seele umso mehr. Heute gestalte ich mein Leben, wann immer es möglich ist, auf "LuisasArt" - Und dass ich nach dem Examen 2008 fast 4,5Jahre schubfrei war, spricht doch für sich, oder?
Bis bald!
Eure Luisa ♥